Der Tag ging zu Ende, die Luft war schwer und müde, ich fühlte mich schwer und müde und kaputt. Ich hatte beide Flügel des Fensters meines Arbeitszimmers weit geöffnet. Die frische Luft, die hereinströmte, half auch nicht richtig. Von der Straße herauf dröhnten Autos. Ich nippte an mei nem Drink....
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Der Tag ging zu Ende, die Luft war schwer und müde, ich fühlte mich schwer und müde und kaputt. Ich hatte beide Flügel des Fensters meines Arbeitszimmers weit geöffnet. Die frische Luft, die hereinströmte, half auch nicht richtig. Von der Straße herauf dröhnten Autos. Ich nippte an mei nem Drink. Eine Marotte, über die sich meine Frau immer wieder amüsieren kann: du mit deinen Detektiv-Allüren. Natürlich hat sie recht. Aber gerade heute ging es nicht ohne diesen Whisky-Soda, und das hatte auch sie still ak zeptiert. Panter, mein Freund, war tot. Vor meinen Augen elend krepiert. Vor meinen Augen ermordet. Ausgerechnet er Opfer eines Verbrechens! Da war ich mir noch immer sicher. Und der Gedanke, dass es ihn nicht zufällig getrof fen hatte, sondern er das Ziel des Anschlages gewesen war, drängte sich immer mehr in den Vordergrund. Auf die ewi ge Ruhe, Wallo! Eigentlich hatten wir beide uns so gut wie nie beim Vornamen genannt, wir waren nun mal Panter und Wolf, zwei Spezies der besonderen Art aus Brehms Tierle ben.
Wolf Marlowe sitzt in seinem Büro am Schreibtisch, nippt an seinem Drink, grübelt und macht sich Gedanken. Nein, heute half das Ritual keinen Deut weiter, und ich wusste, es würde nicht bei dem einen Glas bleiben und nicht bei zwei Gläsern. Es ging mir schlecht, und irgendwie war mir das sogar recht. Heute war der Whisky kein echter Freund, schmeckte lau und brannte im Magen. Ich fühlte mich wie Philip Marlowe nach einer Prügelei, bei der er den Kürze ren gezogen und eins über den Schädel bekommen hat. In meinem Kopf hämmerten die Gedanken. Es war einfach unfassbar, einfach nicht zu begreifen, ein böser Traum. Aber es war nun mal kein Traum. Kotzelend fühlte ich mich und setzte die ganze Hoffnung in das nächste Glas oder das über nächste oder das allerletzte. Was soll's.
Der Tod: Wenn ich ihm begegnet war, hatte ich ihn ange nommen, bis jetzt hatte er mich nie aus der Bahn gewor fen, selbst damals nicht, als ich ihn unmittelbar selbst ge spürt hatte und auch dann nicht, wenn er Abschied bedeu tet und schmerzlich in mein Leben eingegriffen hatte. Ich hatte den frühen Tod meiner Eltern als unausweichlich ver kraftet, hatte beide bis zum letzten Atemzug begleitet, den Schmerz gespürt und in mir wirken lassen. Dort war ihre Krankheit der Feind gewesen und der Tod die Erlösung. Da ihr beider Leben zuletzt nur noch aus Krankheit und Leid bestand, war das Ende dieses Leidens zwangläufig das Ende des Lebens. Beim Tod meines Vaters hatte ich das letzte Ritual akzeptiert: ihm auf dem Totenbett die Kra watte umgebunden. Ich erinnere mich genau: Er hatte mir an meiner Konfirmation beigebracht, wie man den Windsor knoten knüpft, und als ich nun die schwarze Krawatte an seinem faltigen Hals festband, schien es, als würde er wie der lächeln: gut gemacht, mein Sohn. In den letzten Näch ten meiner Großmutter väterlicherseits hatte ich die Wache an ihrem Krankenbett übernommen. Als sie gestorben war, hatte mich gestört, dass man ihr mit einem Handtuch das Kinn festgebunden hatte, damit der Mund nicht offen stand; diesen Knebel empfand ich als würdelos. Den Tod meiner anderen Großmutter, an der ich so sehr gehangen hatte, er lebte ich mit jeder Faser und einer Intensität wie im Fieber. Nachdem man ihr im Krankenhaus beigebracht hatte, dass der Bruch des Oberschenkelhalses nicht operabel war und sie den Rest ihres Lebens im Rollstuhl werde zubringen müssen, zögerte sie keinen Augenblick und entschloss sich zu sterben, verwirklichte diesen
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