Lars Bullmann
Vorwort
Einführungen ins nicht-niederträchtige Leben
Gegen eine menschlich, allzumenschliche Vorstellung des Denkens als dem Vollzug eines jederzeit aktualisierbaren Vermögens hat Gilles Deleuze stets darauf bestanden, Denken und Schreiben als Antworten auf Herausforderungen durch...
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Lars Bullmann
Vorwort
Einführungen ins nicht-niederträchtige Leben
Gegen eine menschlich, allzumenschliche Vorstellung des Denkens als dem Vollzug eines jederzeit aktualisierbaren Vermögens hat Gilles Deleuze stets darauf bestanden, Denken und Schreiben als Antworten auf Herausforderungen durch 'äußerliche' Kräfte, Ereignisse und Aufeinandertreffen zu fassen: Es gibt etwas in der Welt, das zum Denken nötigt (Deleuze 1997, S. 182). An anderer Stelle heißt es: Das Denken ist nichts ohne irgendetwas, das es zu denken zwingt, das dem Denken Gewalt antut. Wichtiger als der Gedanke ist das, 'was zu denken gibt' [...] (Deleuze 1993, S. 79). Wer denkt und schreibt, ist so im doppelten Sinn ein exponiertes Subjekt; ein Subjekt, das sich Affekten und Erfahrungen ausgesetzt sieht, denen es antwortet, indem es selbst zum passionierten Denken aus-setzt - Situationen begrifflich 'kartographiert' und darüber stets schon praktisch in sie interveniert.
Der vorliegende Band Zeit der Monster nun liefert passionierte Auseinandersetzungen von jungen Wissenschaftler innen mit entscheidenden Problematiken der (politischen) Welt, die jetzt und hier zu denken zwingen. Über die Schwerpunkte dieses cognitive mapping (Fredric Jameson) der gegenwärtigen Lage unterrichtet der Untertitel des Buches: Die 'neue' Rechte im Neoliberalismus, das Scheitern linker Kritik und Möglichkeiten emanzipatorischer Praxis in Kunst und Akademie. Die Beiträge greifen damit in Debatten ein, die seit geraumer Zeit die politische Urteilskraft und das politische Imaginäre heimsuchen; Debatten, die insbesondere um den aufhaltsamen Aufstieg reaktionärer Parteien und Bewegungen kreisen, von denen das gute liberale Gewissen westlicher Demokratien nicht wenig irritiert wird. Mit den Trumps, Le Pens, Gaulands und Weidels dieser Welt und deren zahlreicher werdenden Claqueuren sind schließlich Dinge sagbar geworden, die gewiss schon lange untergründig auf ihre Verkündigung warteten, nun aber mit schamloser Penetranz die öffentliche Bühne besetzen. Hier feiern nationalkapitalistische Rhetoriken und Aktionen, völkische Phantasmen sowie homo- und xenophobe, sexistische und anti-intellektualistische Litaneien fröhliche Ur(zu)stände. Nicht selten flüchten sich dann auf der einen Seite feuilletonistische Beobachter innen in moralistische Klagen über derlei 'rückständiges Treiben' oder begnügen sich damit, von Populismus zu sprechen, ohne die analytischen Tücken dieser catch-phrase hinreichend zu bedenken; auf der anderen Seite sind die selbsternannten Hüter der politischen Mitte nur allzu gern bereit, sich den diskursiven Takt von den rechten Bewegungen vorgeben zu lassen - das produziert dann die ewige Leier von den Sorgen und Nöten der sogenannten kleinen Leute, die man endlich und gnadenlos ernst zu nehmen habe. Vom gesunden bürgerlichen Menschenverstand zum 'gesunden Volksempfinden' ist es mithin nur ein Schritt - und kein großer.
Den Einsatz des Buches in dieser Sache könnte man kurz folgendermaßen bestimmen: Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte von den neuen Reaktionären schweigen! - In dieser Hinsicht erfährt man hier viel über die intrikate Dialektik des Globalen und des 'Ultra-Lokalen', die Zusammenhänge von neoliberalem Kapitalismus und neotribalem Nationalismus und die Beziehungen zwischen dem Fetischcharakter der Ware und dem Fetischcharakter des 'wahren Volkes'. Man erhält u. a. Einblicke in die Betriebstemperaturen einer bürgerlichen Subjektivität, die, um es mit Slavoj Zizek zu sagen, immerzu den Diebstahl ihres eigenen Genießens durch Fremde, 'Eindringlinge' und Unzugehörige fürchtet, weil sie wohl unbewusst darum weiß, dass im globalen Kapitalismus ohnehin jedes Genießen eines auf Widerruf bleiben muss (vgl. Zizek 1994). Um sich diesem unbewussten Wissen nicht auszusetzen bzw. es zur Triebfeder für die Suche nach Formen nicht-identischer kollektiver Solidaritäten zu machen, verwandelt jene Subjekt-Form dann
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