Ich fürchte, mein Englisch reicht nicht aus für die Aufgabe, der ich mich jetzt stelle - ich bin kein Muttersprachler. Außerdem weiß ich nicht mal genau, was mich über diese mysteriöse Frau aus Skandinavien schreiben läßt, die vor über hundert Jahren in meine südkaukasische Heimatstadt kam, um dort von einem ihrer Anbeter erschossen zu werden. Dazu bin ich ein übler Bursche - 'Ich weiß nicht, was Liebe ist' -, und mit meiner Leber stimmt was nicht, weil ich zuviel trinke ... vielleicht trinke ich aber auch nur, weil ich nicht weiß, was Liebe ist, oder ich weiß nicht, was Liebe ist, weil ich trinke? Na bravo!
Paulus, der dreizehnte der zwölf Apostel, redete mit Menschen- und mit Engelszungen und wußte, was Liebe ist. Vor langer Zeit schrieb er an die Korinther: Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze. Wichtiger noch: Die Liebe ist langmütig und freundlich ... sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freut sich aber der Wahrheit.
Und was kann ich daraus für mich ableiten? Ich persönlich freue mich des Alkohols, in dem gewiß manche Wahrheit ist, wie das lateinische Sprichwort feststellt, auch wenn er durchweg eher profaneres Zeug enthält, destilliert aus Trauben, Malz, Weizen, Beeren oder sonst etwas, das mein Gehirn wäscht, einhüllt und beerdigt ... und, ja, Liebe ist auch drin, aber, soweit ich das rausschmecken kann, nur ein Prozent von den vierzig, besonders wenn man allein trinkt. Um mich also bei Paulus zu bedienen: Wie ich die Liebe verstehe, kommt dem gleich, wie ein tönend Erz oder eine klingende Schelle das Geräusch verstehen, das sie hervorbringen. Oder, noch genauer: Meine Kenntnis der Liebe entspricht der Erfahrung der Liebe von, sagen wir, Eric Dolphys Flöte, wenn der Typ den alten Jazz-Standard You Don't Know What Love Is auf ihr spielte.
Zweifellos ist die Flöte ein ganz außergewöhnliches Instrument. Sie wurde von einem tiergestaltigen Geschöpf, halb Ziegenbock, halb Gott, erfunden, um diesen einen Moment zu feiern, da alle Materie im Verlauf eines einzigen goldenen Nachmittags überschnappte. Einige gälische Barden meinen, die beste Flöte werde aus dem Schenkelknochen eines liebestollen Reihers gefertigt. Vielleicht sind deshalb fast alle Flötisten ein bißchen wahnsinnig wie der berühmteste von ihnen, Ian Anderson von Jethro Tull. Doch der verrückteste war ein Russe, Wladimir Majakowski. Einmal hat er sogar den irren Versuch unternommen, die eigene Wirbelsäule wie eine Flöte zu spielen. Stellen Sie sich vor, wie er da auf einem Bein steht, das andere angezogen, und mit fest geschlossenen Augen in seine Wirbelsäule bläst
'Flying so high, trying to remember' ...
Darf ich hier eine musikbiologische Definition der Liebe anbringen? Liebe ist, wenn sein oder ihr Atem deine Wirbelsäule mit Tönen füllt ... wenn der sanfte Luftzug unsichtbar hindurchstreicht ... unbeschreibliche Liebe ... Applaus!
O ja, Dagny Juel Przybyszewska muß diese Art der Liebe ausgestrahlt haben: Sie spielte die Wirbelsäulenflöten der Männer um sie herum, weckte Eifersucht mit der Erregung, vermischte Orgasmus und Tod und verwandelte sexuelle Angst in die zerstörerische Ästhetik des Fin de siècle. Man nannte sie Die nordische Sphinx. Sie tötete sie mit ihren unlösbaren Rätseln, wie Föten im spektakulären Uterus Unserer Lieben Frau vom-Leben-im-Tod-und-Tod-im-Leben-als-Kunst. Die Hohepriesterin der Berliner Boheme, die Hebamme der schrecklichen Schönheit, die damals in die Welt trat; sie war die Große Androgyne und die Quelle ihrer Ekstasen, ihrer Verrücktheiten und Inspirationen. Und alle begehrten sie, diesen Seelenvampir, wie aus einem Gemälde von Botticelli, Rembrandt oder Rossetti entstiegen - lockig, seidenglatt, zerbrechlich, kompliziert, überwältigend, aristokratisch, auratisch, grausam, unergründlich, dubios, groß, schlank, biegsam, nüchtern, unnahbar, widerspenstig
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